Samstag, 15. September 2012

Zu den aktuellen Konflikten in der arabischen Welt

Zu den aktuellen Konflikten in der arabischen Welt
 
Die historischen Hintergründe sind mit dem Hinweis auf die imperialistische Penetration zu oberflächlich beschrieben. Hier können die älteren historischen Gründe für den Machtgewinn der europäischen Staaten nicht hinreichend geklärt werden. Ansätze dazu habe ich beschrieben in: Voigt, Gerhard, 1986: Industrialisierung in England und Algerien. Das Vergleichen von Entwicklungen. Quelle: Praxis Geographie 11/1986, S. 19 23. Wichtiger ist die Neuordnung der Machtverhältnisse durch die Herausbildung der „Semiperipherien“, wie sie analysiert werden in: Wallerstein, Immanuel, 1974: The Modern World-System: Capitalist Agriculture Hand the Origins of the European World-Economy in the Sixteenth Century. New York. – und speziell bezogen auf die Türkei in: Wallerstein, Immanuel / Decdeli, Hale / Kasaba, Resat, 1984: Die Inkorporation des Osmanischen Reiches in die Weltwirtschaft, in Jahrbuch zur Geschichte und Gesellschaft des Vorderen und Mittleren Orients. S. 397-417.

Es besteht daraufhin eine Dialektik zwischen zunehmenden äußeren Einflüssen und der gesellschaftlichen Wahrnehmung in den betroffenen Ländern selbst, wie sie z.B. großartig beschrieben wird in einem neuen biographisch-historischen Roman aus Iran: Shakib, Siba, 2011: Eskandar. Roman. München. Wilhelm Goldmann Verlag (Goldmann Taschenbuch 47108). {© Siba Shakib, 2009.}

Damit ist aber noch nicht geklärt, warum hier z.B. Iran so wenig eigene Widerstandskraft aufbrachte – vor allem, da ja keine militärische Okkupation erfolgt war – und ein zunehmender „Nachhinkeffekt“ in der gesellschaftlich-politischen Situation eintrat, wie er genauer analysiert wird in: Alikhani, Behrouz, 2012: Institutionelle Entdemokratisierungsprozesse. Zum Nachhinkeffekt des sozialen Habitus in Frankreich, Iran und Deutschland. Wiesbaden (VS Springer).

Alikhani untersucht hierbei vor allem auch die inneren Konflikte und Machtkonkurrenzen in Iran und den Aufstieg der Pahlawi-Dynastie Anfang des 20. Jahrhunderts nach dem Scheitern der  „konstitutionellen Revolution“. Doch in Bezug auf die Kadscharen-Dynastie spricht er durchaus von einer „halbkolonialen Situation“ Irans.

Betrachten wir die Probleme des Zusammenhangs von „Soziogenese“ bei der Herausbildung der modernen Staatsgesellschaft – die ja interessanterweise bei allen Staaten der Peripherien und Semiperipherien als erstrebenswertes Modell angesehen wird, wenn auch in der Interessenlage bezogen auf die jeweiligen Herrschenden – und der damit verbundenen „Psychogenese“ – eine Erklärung, die sich am Zivilisationsmodell von Norbert Elias orientiert – so treffen wir auf fundamentale Ungleichzeitigkeiten und gesellschaftliche Widersprüche, die mit einem einfachen Konfrontationsmodell zwischen dem „Westen“ und z.B. den „arabischen Staaten“ auch nicht im Ansatz hinreichend geklärt werden können. Aus Algerien soll als aufschlussreicher biographischer Roman hier genannt werden: Khadra, Yasmina, 2011: Die Schuld des Tages an die Nacht. Roman. Aus dem Französischen von Regina Keil-Sagawe. Berlin 2011 Ullstein Buchverlage (List Taschenbuch 61022). {Ce que le jour doit à la nuit. Paris 2008.}

Heute muss wohl festgehalten werden, dass die „Konfrontationsmodelle“ wenig mit realen heutigen Interessenkonflikten zu tun haben, sondern sehr bewusst funktionalisiert werden für innenpolitische Machtkonflikte, wobei natürlich die Stabilität demokratischer Institutionen Maßstab für die Chancen von „spontanem Volkszorn“ darstellen, wobei weder die Provokation noch die aggressive Massenreaktion auch nur ansatzweise Zeichen der Informiertheit und Problemlösung aufweisen sondern zeigen, dass ein Konflikt von beiden Seiten gewünscht wird…

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